Kluessendorf, Angelika by Das Maedchen

Kluessendorf, Angelika by Das Maedchen

Autor:Das Maedchen [Maedchen, Das]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2014-04-05T04:00:00+00:00


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14

Der neue Mann ist bei ihnen eingezogen. Henry arbeitet mit ihrer Mutter in der Mitropa. Stolz zeigt er ihr seine Schallplattensammlung, die im Wohnzimmer lagert; es sind Hunderte von Platten, die meisten aus dem Westen. Sie betrachtet ein Foto auf der Plattenhülle, es ist ihr peinlich, dass sie sich über den Mann mit der Ponyfrisur äußern soll.

Keine Ahnung, sagt sie, hab nie was von ihm gehört.

Er kann es nicht fassen, dass sie Cliff Richard nicht kennt. Danach scheint sie für Henry ein hoffnungsloser Fall zu sein, er spricht mit ihr nie wieder über seine Platten, und sie ist nicht traurig darüber.

Sie freut sich auf den ersten Schultag, kämmt sich mit besonderer Sorgfalt die Haare, benutzt sogar einen Lippenstift, wischt ihn aber vor der Schule wieder ab.

Die anderen Mädchen müssen sich vor den Sommerferien abgesprochen haben, Brüste zu bekommen, denn sie ist die Einzige, die noch flach wie ein Brett ist. Sie hat kein Gramm Fett an den richtigen Stellen vorzuweisen, beunruhigt fragt sie sich, ob das so bleiben wird. Beim Umziehen vor dem Sportunterricht mustert sie die Mädchen genauer, einige tragen schon einen BH, und Elvira zeigt ihr stolz die winzigen Brüste in der Toilettenkabine und fragt sie: Hast du auch schon welche? Sie zeigt nichts, zuckt nur unbestimmt die Schultern, was alles bedeuten kann, vor allem, dass es sie gar nicht interessiert.

Die Jungs in der Klasse kommen ihr vor, als seien sie lauter geworden, gefährlicher, sie machen sich über alles lustig, brüllen widerliche Ausdrücke durch die Gegend, nennen die Mädchen Schlampen und Nutten, niemand entgeht ihrem Spott. Da ist das Schneewittchen, rufen die Jungs ihr nach, kein Arsch und kein Tittchen!

Die Herbstfarben explodieren in den Hinterhöfen, Weinreben ranken die Hauswände hoch, sie klettert mit ihrem Bruder über Mauern, sie liebt diese Kletterei, liebt es auch abzuhauen, auf der Flucht zu sein, wenn die Hausbewohner ihnen hinterherschreien, weil sie um ihre Weintrauben fürchten, sie versteht es sogar, sie wäre genauso zornig, wären es ihre Weintrauben, diese Einsicht hält sie aber nicht davon ab, händevoll die noch halb sauren Früchte zu verschlingen.

Dann ist der erste Stubenarrest fällig. Die Mutter hat ein erschöpftes Gesicht, als sie die Strafe verkündet, und weil ihre Tochter so aussieht, als mache ihr der Stubenarrest nichts aus, bekommt sie gleich noch einen zusätzlichen Monat aufgebrummt.

Sie geht täglich in die Kneipe und holt den Nachschub an Bierflaschen. Der neue Mann sitzt abends mit der Mutter vor dem Fernseher, öffnet eine Flasche nach der anderen. Henry verträgt viel, und auch die Mutter versteht es zu trinken, ihre Augen glänzen, sie lacht, als würde sie gekitzelt, und sie stolpert nicht mal, wenn sie mit Henry tanzt. Seitdem er bei ihnen wohnt, ist Musik angesagt, allabendlich spielt er seine Platten ab, und ihre Mutter stimmt in die Schlager mit ein, singt aus voller Kehle, als wäre sie glücklich.

Ihr schwangerer Bauch scheint sie nicht zu stören. Richtig wütend ist sie nur noch, wenn Henry nicht da ist; dann kann es allerdings heftig zur Sache gehen, wie ein aufgestautes Jaulen brechen die Töne aus ihrer Kehle hervor.



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